DELINEATIO (n. f.)
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ABZEICHNUNG (deu.)ABZEICHNUNG
Wann man nun/ in solchem nachzeichnen/ durch viele Ubung/ eine gute practic und Gewonheit/ auch sichere Hände/ erworben/ mag man zur Abzeichnung der lebendigen Dinge schreiten/ und darinn mit ämsigem Fleiß und Aufsicht sich so lang üben/ bis man eine nach den Regeln wolgegründete sichere Natürlichkeit erwerbe. {worzu die Academien dienen.} Hierzu ist allerdings nötig/ die Besuchung der Academien/ da man/ in Gesellschaft anderer/ von einem wolgestellten Subject, und lebendigen Modell, unterschiedliche Stellungen absihet: und ist dieses der allerbäste Weg/ zur Wissenschaft der äuserlichen Anatomie, Maß und proportion des Menschen gründlich zu gelangen.
Das I. Capitel. Von Der Erfindung und Zeichnung, p. 61NACHZEICHNEN
Wann man nun/ in solchem nachzeichnen/ durch viele Ubung/ eine gute practic und Gewonheit/ auch sichere Hände/ erworben/ mag man zur Abzeichnung der lebendigen Dinge schreiten/ und darinn mit ämsigem Fleiß und Aufsicht sich so lang üben/ bis man eine nach den Regeln wolgegründete sichere Natürlichkeit erwerbe. {worzu die Academien dienen.} Hierzu ist allerdings nötig/ die Besuchung der Academien/ da man/ in Gesellschaft anderer/ von einem wolgestellten Subject, und lebendigen Modell, unterschiedliche Stellungen absihet: und ist dieses der allerbäste Weg/ zur Wissenschaft der äuserlichen Anatomie, Maß und proportion des Menschen gründlich zu gelangen.
Das I. Capitel. Von Der Erfindung und Zeichnung, p. 61ZEICHNUNG
{Die Vernunft/ ist der Zeichnung Ursprung} Die Zeichnung […] ihren Ursprung aus der Vernunft hat/ so erfordert solche eine sonderbares Urtheil/als die universal-Form/Idea oder Modell aller Dinge/so die Natur jemahls gebohren. Dann diese machet in dem menschlichen Leib/ in den Thieren und Pflanzen/ folgbar auc die Gebäu- Bildhauer und Mahlerey-Arbeit/ die proportion und Gleichheit zwischen dem ganzen völligen Corpo und seinen Theilen/und den Unterschied zwischen denselben erkennen. Und aus dieser Erkäntnis entspringet eine gewiße imagination, Einbildung/ Meinung und Urtheil / welches ihm der Künstler in seinem Verstand vor-formet/ und nachmals mit Kreide/ Rötel oder Kohlen/ durch die Hand/ zu Papier bringet.
Das I. Capitel.Von Der Erfindung und Zeichnung, p. 60Hieraus ist nun leichtlich zu schließen/ daß die Zeichnung nichts anders seye/ als ein erkantlicher Entwurff/ Abbildung oder Erklärung unsers Concepts/ welchen wir in dem Gemüt ausgebrütet/ und der Einbildung/ als eine Form oder Idea, vorgestellet. {Sprüchw. Ex ungue Leo. Der Verstand ermisset einen Leib/ aus einem Theil desselben.} Es ist ein Welt-kündiges Sprüchwort der Alten: Ex ungue Leo, der Löw aus der Klaue. Damit wird so viel gesaget/ daß/ wann einem vernünftigen Manne nur ein Stuck von einem natürlichen Corpo vorgewiesen werde/ er alsofort in seinem Verstand den ganzen Leib mit allen dessen Theilen/ in seine imagination oder Einbildung fasse/ gleich als ob ihm derselbe völlig und lebhaft vor Augen gestellet wäre.
Das I. Capitel.Von Der Erfindung und Zeichnung, p. 60Eine andere Art ist/ die um und um mit Linien umzogen/ Profil, Umriß oder Liedmaß genennet wird. Diese sind zwar/ sowol zur Bau-Kunst und Bildhauerey/ als zur Mahlerey/dienlich/ aber am allermeisten zur Bau-Kunst: weil deren Zeichnung allein in Linien bestehet/ als ihrem Anfang und Ende/ daher sie auch den Namen bekommen/ und das übrige/ vermittels des Modells von Holz/ nach diesen Linien gemacht/ den Steinmetzen und Maurern zugehöret. {Wie die Zeichnung zur Bildhauerey dienlich/} In der Bildhauerey/ dienet die Zeichnung zu allen Umrißen: welche der Bildhauer also von Gesicht zu Gesichtabsehen und in sein Werk bringen kan/ sonderlich wann er einen Theil abzeichnen will/ der bässer herfür kommen soll/ es mag nun in Wachs/ Erde/ Erz/ Marmor oder Holz geschehen. {und zur Mahlerey.} In der Mahlerey-Kunst/ dienen diese Zeichnungen auf unterschiedliche Manier/ absonderlich von jeder Figur oder Bildnis einen Umriß zu machen. Wann nun diese gut/ just und nach proportion geschihet/ so ist der Schatten und das Liecht/ welches nachmals beyfüget/ eine Ursach/ daß die lineamenten oder Striche der Figur/ welche man bildet/ besonders erhoben heraus kommen/ und an dem ganzen Bild eine beliebliche Güte und Vollkommenheit erhellet. Wer nun diese Linien wol zu brauchen und anzuwenden weiß/ wird mit der Zeit/ durch stätige Ubung und reiffe Vernunft/ in allen diesen Künsten ein vollkommener Meister werden.
Das I. Capitel.Von Der Erfindung und Zeichnung, p. 60Die Zeichnung soll und mus mit sonderbarer Vernunft/ rarer invention, abtheilung und stellung/ als an welcher allermeist gelegen/ gemacht seyn: damit alle Theile/ zu vergnügung eines vernünftigen Auges/ wol übereinstimmen/ und nicht hier alles/ dort wenig oder gar nichts/ ohne Urtheil oder Verstand/ herfür komme. Solche schöne Ordnung oder häßliche Unordnung/ entspringet von wol- oder übel-gefasster Zeichen-Kunst/ entweder nach denen gehabten Modellen/ oder nach den vorgenommenen lebendigen Bildnusen: und kan die Zeichen-Kunst keinen guten Anfang haben/ wann sich der Scholar nicht eifrig beflissen/ natürliche und lebhafte Dinge abzuzeichnen/ und nach gut-gemahlten Stucken von belobten Meistern/ oder nach antichen Statuen und erhobnen Bildern/ wie schon oft gesagt worden/ zu formiren.
Das I. Capitel.Von Der Erfindung und Zeichnung, p. 61{Der Autor, und Claudius Gilli übeten sich hierinn zu Rom.} Die Landschaft-Mahler/ haben hierinn/ indem sie viel nach dem Leben gezeichnet/ sich wol-erfahren gemacht: maßen sie solcher Handriße sich nachmals überall bedienen können. Ich selbst thäte solches/ etliche Jahre lang. Endlich aber/ als mein nächster Nachbar und Hausgenoß zu Rom/ der berühmte, Claudius Gilli, sonst Loraines genant/ immer mit ins Feld wolte/ um nach dem Leben zu zeichnen/ aber hierzu von der Natur gar nicht begunstet war/ hingegen zum Nachmahlen eine sonderbare Fähigkeit hatte: als haben wir ursach genommen/ (an statt des Zeichnens oder Tuschens mit schwarzer Kreide und dem Pensel) in offnem Feld/ zu Tivoli, Frescada, Subiaca, und anderer Orten/ auch al S. Benedetto, die Berge/ Grotten/ Thäler und Einöden/ die abscheuliche Wasserfälle der Tyber, / den Tempel der Sybilla, und dergleichen/ mit Farben/ auf gegründt Papier und Tücher völlig nach dem Leben auszumahlen. Dieses ist/ meines darfürhaltens/ die beste Manier/ dem Verstande die Warheit eigentlich einzudrucken: weil gleichsam dadurch Leib und Seele zusammen gebracht wird. In den Zeichnungen wird hingegen alzuweit zuruck gegangen/ da die wahre Gestalt der Sachen nimmermehr also pur eigentlich heraus kommet. {Noch andere fürtreffliche Landschaft-Mahlere.} Es ist auch besagter Claudius, wiewol langsam genug/ endlich in dem Landschaft-Mahlen/ gründen und coloriren/ so perfect worden und hoch gestiegen/ daß er wunder gethan/ und billich ein Antecessor und Ubertreffer aller der andern mag genennet werden [...].
Das VI Capitel vom Landschaft-Mahlen, p. 71